Als 1644 die seit drei Jahrhunderten regierende Ming-Dynastie gestürzt wurde, sah es kurze Zeit düster für die jesuitische Mission in China aus. Doch auch die neuen Kaiser aus der nördlichen Mandschurei fanden schnell großen Nutzen an den Fremden aus Europa. In Europa herrschte ohnehin Aufbruchsstimmung.
Dort erfreuten sich besonders die französischen Jesuiten der ausgiebigen Förderung ihres Monarchen, des Sonnenkönigs Ludwig XIV. Der illustre König ist bis heute nicht umsonst das Sinnbild für absolutistische Herrschaft: zum Machtanspruch seiner Krone gehörte es, die Erleuchtung durch die (katholische) Mission in alle Welt zu tragen. So verwundert es nicht, daß Ludwig Ende des 17. Jahrhunderts eine großangelegte Expedition mit treuen und gut ausgebildeten Jesuiten nach Fernost schickte.
Louis le Comte, 1655 geboren und seit 1677 in der Soecietas Iesu, war einer der selektierten Missionare. Seine 1696 publizierten, zweibändigen Memoiren waren ein veritabler Bestseller. Das Buch erfreute sich zahlreichen Auflagen und wurde vielfach übersetzt. Dabei erwartete den frühneuzeitlichen Leser ein reich bebildertes und eingängig geschriebenes Buch; der Durst der europäischen Gesellschaften nach authentischen Berichten aus der fernen Welt war ohnehin nur schwer zu stillen.
In vorgeblich als Briefen an französische Prominente verfassten Kapiteln führt uns der Autor durch die Gesellschaft Chinas. Für den Erfolg des Buches war es jedenfalls nicht abträglich, dass le Comte im Gegensatz zu manch anderem Autor nicht gerade lange im Land war und sich auch nicht als besonders geistreicher Gelehrter hervortat. Dass die jesuitische Expedition aus Frankreich vor allem machtpolitische Motive verfolgte, zeigt sich auch an der Abreise le Comtes.
Auf Druck von „portugiesischen“ Jesuiten – deutsche und niederländische Missionare wurden unter demselben Begriff zusammengefasst – musste le Comte 1691 über Canton zurück nach Frankreich reisen. Denn Briefe und Nachschub aus Paris wurden von den „Portugiesen“ schlicht abgefangen.
Nach der Veröffentlichung der Erstausgabe seiner Nouveaux mémoires fand sich le Comte schnell inmitten einer theologischen Grundsatzdiskussion über die jesuitischen Missionierungsmethoden. Dieser sogenannte „Ritenstreit“ drehte sich im Kern um die Frage, ob „unvollständig“ missionierten Chinesen – also solche, die weiterhin ihre traditionellen Riten der Ahnenverehrung praktizierten – von der Kirche als vollwertige Christen akzeptiert werden können.
Zwar äußert sich le Comte in seinem Werk durchaus respektvoll vor der chinesischen Kultur und auch die Missionsmethoden der Jesuiten werden von le Comte kurz im zweiten Band thematisiert. Aber ein gelehrter Theologe war le Comte nicht, und dass gerade er sich nun im Mittelpunkt dieser Diskussion wiederfand, war der Sache der Jesuiten nicht gerade dienlich. Le Comte war fortan nicht mehr als Missionar tätig. Er verstarb 1728 in seinem Geburtsort Bordeaux.
Stefan Burzer